Zur Zeit Kaiser Maximilians I. war das Hochgebirge im Sellraintal ein begehrtes und daher auch häufig aufgesuchtes Jagdgebiet, wo um 1500 zahlreiche Gämsen und Hirschen gejagt wurden. Die im Talhintergrund wohnenden Gämsjäger (darunter ledige Bauernsöhne und Knechte) bestiegen auf der Suche nach verloren gegangenen Schafen wohl als Erste die markant aufragenden Gipfel der Dreitausender.

Erstbesteigung Lüsner Fernerkogels

Zu den Meilensteinen in der Alpingeschichte gehört im 19. Jahrhundert die Erstbesteigung des Lüsner Fernerkogels (3.299 m). Der damalige Abt des Stiftes Wilten hatte gegen das riskante Vorhaben des Bergsteigers und Theologen Peter Karl Thurwieser (1789 – 1865) nichts einzuwenden. Durch einen hochsommerlichenWettersturz mit ergiebigen Schneefällen verzögerte sich jedoch das waghalsige Unternehmen zunächst um fünf Tage, bevor am 22. August 1836 Thurwieser nach Gries kam, wo er im Pfarrhaus übernachtete. Das stattliche Wiltener Klostergebäude in Lüsens wurde am nächsten Tag bezogen. Unter Führung der beiden erfahrenen Praxmarer Bauernjäger Philipp Schöpf und Jakob Kofler erreichte Thurwieser am 24. August 1836 um 13.01 Uhr nach 8 ¾ Stunden den Fernerkogel, das „Matterhorn“ der nördlichen Stubaier Alpen. Als erste autorisierte Bergführer in der Talschlussgemeinde St. Sigmund wurden 1870 Josef Pairst und Johann Rofner verzeichnet.

Alpine Stützpunkte

Die wichtigsten alpinen Stützpunkte waren neben den Almhütten (z.B. Längentaler Alm – Besteigung des Fernerkogel-Nordgrates durch die „Wilde Bande“, 1888) die Pfarrhäuser (Widum in Gries) und Wirtsbehausungen (Juifenau, Praxmar, Haggen). Durch Vermittlung der Sektion Innsbruck wurde 1893 dem im Grieser Ortsteil Juifenau stehenden Gasthaus „Zum Alpenverein“ für die Sommersaison eine Gewerbekonzession erteilt. Der damalige Besitzer Franz Kirchebner bot seinen Gästen außer gutem Wein und Bier sowie schmackhaften Speisen auch Nachtlager und Pension zu mäßigen Preisen an. Von der neu errichteten Veranda aus hatte man einen sehr schönen Blick zum aufragenden Fernerkogel. Besonderes Lob über das Gasthaus in Praxmar findet sich bereits 1876 beim deutschen Reiseschriftsteller Heinrich Noe, der eigens die Handschlagqualität des bescheidenen Wirtes „Lippen-Lois“ und die im Hause herrschende Gemütlichkeit hervorhebt. 1894 erhielt das Praxmarer Wirtshaus den Namen „Gasthaus zum akademischen Alpen-Club“. 1912 wurde die vom Ski-Klub Innsbruck mit staatlicher Unterstützung in norwegischem Blockhausstil gebaute Fotscher Skihütte eröffnet.

Alpintouristische Erschließung

Knapp vor dem Ersten Weltkrieg und während der Zwischenkriegszeit hatte sich der Alpenverein im Sellraintal in zweierlei Hinsicht verdient gemacht, nämlich einerseits in der 1901 durch die Sektion Innsbruck erfolgten Anlage neuer Bergsteige bzw. Gipfelwege in Lüsens (Praxmar – Schöntalbach – Achsel; Lüsens – Längental – Winnebachjoch; Lüsens – Kleines Horntal – Lüsener Ferner) und andererseits im Bau von drei Schutzhütten: Westfalenhaus (1908) im Längental/Lüsens, Pforzheimer Hütte (1926) im Gleirschtal und Potsdamer Hütte (1932) im Fotschertal.

Warum ist die stadtnahe Bergsteigerdörfer-Region Sellrain so ursprünglich geblieben? Die Bewohner des Sellraintales haben noch rechtzeitig in den 1980er-Jahren die große Bedeutung ihrer fast unberührt gebliebenen Bergwelt erkannt. Sie verzichteten auf technische Aufstiegshilfen zur damals geplanten Erschließung von Schigebieten (Seiges/Windegg, Lampsen).