Bevor Menschen das Tal besiedelten, lebten in den Sulzfluhhöhlen Höhlenbären. Funde von Zähnen und Knochen wurden auf ein Alter von 80’000 bis 120’000 Jahren datiert und sind heute im Ortsmuseum zu sehen. Hinweise auf die erste land­wirt­schaftliche Nutzung geben flächenmässige Brandrodungen des Waldes in der Eisen­zeit (um 500 v. Chr.). Romanische Flurnamen (z.B. Carschina, Partnun) weisen darauf hin, dass das Tal von den Rätoromanen genutzt wurde, bevor die Walser im frühen 14. Jahrhundert aus dem Raum Davos-Klosters einwanderten. Laut alten Chroniken entstand im Dörfji im Gafiatal eine der ersten Siedlungen. Wälder wurden gerodet, um Land und Holz zu gewinnen. Die Streusiedlung und die typischen Holz­häuser erzählen noch heute von der Besiedlung durch die Walser.

Naturgewalten

Die vielen Rodungen wurden dem Dorf im Laufe der Jahrhunderte zum Verhängnis. Die grösste Gefahr stellten die Lawinen dar. Doch auch vor weiteren Naturgewalten wie Hochwasser, Hangmuren oder Rüfen, wie man sie im Prättigau nennt, Feuer, Krank­heiten oder Hungersnöten blieb St. Antönien nicht verschont. Bereits 1480 trat der erste Bannbrief zum Schutz des Waldes in Kraft. St. Antönien machte mehrfach tragische Erfahrungen mit den Lawinen, das früheste beschriebene Lawinenunglück ereignete sich 1668. Im Ort selbst und weit darüber hinaus ist der Lawinenwinter 1951 in Erinnerung geblieben: Zehn Menschen wurden verschüttet, neun davon gerettet, 50 Stück Vieh getötet und 42 Gebäude beschädigt oder zerstört. Die Realisierung der bereits geplanten Lawinenverbauungen wurde forciert. Ab 1952 entstand während zweieinhalb Jahrzehnten am Chüenihorn und Tschatschuggen die zwölf Kilometer lange Lawinenverbauung, damals die grösste der Schweiz. Später kamen die Verbauungen am Eggberg dazu. Noch heute erfüllt der Wald in St. Antönien primär eine Schutzfunktion, die Instandhaltung der technischen Verbauungen ist ein Endloswerk.

Wie das Dorf der Naturgewalt trotzt, zeigt sich auch in der Architektur. Häuser und Höfe wurden an weniger gefährdeten Stellen gebaut und mit «Ebenhöch» geschützt. Die Lawinenschutzorganisation der Gemeinde überwacht die Lawinensituation und entscheidet über allfällige Sicherheitsmassnahmen wie Wegsperrungen. Durch die Verbauungen und die Aufforstungen hat sich die Bedrohungslage stark reduziert, der Umgang mit den Lawinen gehört jedoch weiterhin zum Leben im Dorf und sollte weder von Einheimischen noch Gästen unterschätzt werden.

Kirche - ein verbindendes Element

Die Kirche war das verbindende Element der ursprünglich selbstständigen Ge­mein­den Castels, Rüti und Ascharina. Sie blieb stets von Naturgefahren verschont. Lawi­nen stellten damals noch keine Gefahr dar, doch aufgrund des Steinschlags vom Eggberg und Chüenihorn zog man den heutigen Standort auf dem Platz der Ebene auf dem Meierhof vor. Teile der Kirche wurden bereits um 1370 erstellt, die heutige Kirche wurde 1493 im spätgotischen Stil erweitert. Ursprünglich katholisch, wurde St. Antönien 1524 als erste Gemeinde im Prättigau protestantisch. Die Reformation wurde von dem aus dem Montafon kommenden Priester Jakob Spreiter eingeführt. Die Kirche ist weiterhin das verbindende Element im Tal – die Menschen kommen zusammen, um Freudiges wie Hochzeiten zu feiern oder gemeinsam Abschied zu nehmen. Die Weihnachtsfeier und der Berggottesdienst gehören zu den Fixpunkten im Jahreskalender.

Wirtschaft

Für das Leben in St. Antönien spielten die Übergänge ins Montafon eine wichtige Rolle: Sowohl für den Viehhandel, denn man lebte hauptsächlich von der Viehzucht und Milchwirtschaft, als auch für die Versorgung mit Lebensmitteln und als Säu­mer­pfade. Es überrascht kaum, dass rege geschmuggelt wurde. Eine der Höhlen in den Gruoben trägt den Namen «Gaffiloch» (Gaffi = Kaffee), da sie als Depot für Kaffee­bohnen und andere Schmuggelware genutzt wurde.

Neben der Viehzucht wurde im Tal auch Bergbau betrieben. Über das Erzwerk «Butzchammera» im Gafiatal ist aber wenig bekannt. Schutzpatron war der heilige Antonius, welchem auch die Kirche geweiht wurde und dem Dorf den Namen gab. Im 19. Jahrhundert wurde in St. Antönien eine der bedeutendsten Hafnereien Grau­bündens betrieben. Die Lötscher Keramik war bekannt für Qualität, Funktionalität und Schönheit der Produkte. Über vier Generationen wurden Geschirrkeramik, Ka­chel­öfen und Wasserleitungsröhren hergestellt.

Der beständige Kampf gegen Naturgewalten in St. Antönien bewegte viele zur Ab­wanderung. Fast 200 Personen wanderten im vorletzten Jahrhundert nach Nord­amerika aus. Die Bevölkerungszahl im Tal sank stetig. Zur Stabilisierung trug der Tourismus bei: Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert florierte der Sommer­tourismus und im 20. Jahrhundert gewann der Wintertourismus an Bedeutung. St. Antönien wurde als Luftkurort bekannt und 1953 der ganzjährige Postautobetrieb aufgenommen. Der 1974 erbaute Skilift Junker lockte Familien und Schulklassen nach St. Antönien und ist heute noch ein beliebter Tummelplatz für Familien. Der Touris­mus hat hier eine lange Tradition, ebenso die Verbundenheit mit der Natur. So er­staunt es nicht, dass St. Antönien seit jeher auf einen naturnahen Tourismus setzt.